Deutschland Autoland
Wie schon bemerkt, ist die Umsetzung einer autofreien Stadt nicht nur - oder sogar am wenigsten - eine Frage von Argumenten oder Rationalität. Autofahren ist tief in der westlichen Psyche verankert und wer das ändern will, muss sich um die Ursachen dieser engen Verbindung Gedanken machen.
In der Zeit vom 20. November heißt es zum Beispiel über den Neuwagenkauf:
Die Kunden besuchen die tempelartigen Automuseen der Konzerne, schlafen in Wolfsburg gar im werkseigenen Ritz Carlton, essen bemerkenswert gut, bevor sie zur Übergabezeremonie schreiten. Auf einer Empore schauen sie zu, wie ihr neues Gefährt in eine riesige, blitzsaubere Halle gefahren wird.
Dann gehen sie mit dem Betreuer hinunter, schauen sich gemeinsam ihr neues, metallic-glitzerndes Fortbewegungsmittel an - und fahren es selbst hinaus in eine Welt ohne allgemeines Tempolimit. Ins Autoland Deutschland.
Es wirkt wie eine spirituelle Erfahrung und wer manche Leute mit ihren Autos sieht, könnte tatsächlich denken, dass sie in diesm Objekt ihre Lebenserfüllung finden. Was gibt es einem Menschen also, ein Auto zu besitzen?
Zum einen ist es sicher der Neid der Nachbarn, eine nicht zu unterschätzende Motivation im Land der Kleingärtner. Wer unter erheblicher Geld- und Zeitinvestition sein Fortbewegungsmittel tieferlegt, die Scheiben abdunkelt und Leichtmetallfelgen daran montiert, will sicher auch beeindrucken.
Diese Wirkung nach außen kann sich aber nur entfalten, weil bereits ein gesellschaftliches Umfeld existiert, in dem die Autoliebe anerkannt und unterstützt wird. Und das entstand nach dem zweiten Weltkrieg aus einer Situation des Mangels, aus dem alle entfliehen wollten. Das beste Symbol dafür war das eigene Auto vor der Tür.
Jetzt, wo das Auto vor der Tür eher ein Zeichen der Ignoranz und der Rückständigkeit ist, haben sich die gesellschaftlichen Werte noch nicht angepasst. Noch immer gelten Autofahrer als die Nettozahler der Nation, auch wenn sie gesellschaftlich mehr Kosten verursachen als sie aufbringen. Und erst langsam fängt das Umdenken an - mit etwas Glück bald auch mit der Einsicht, dass Verkehrsvermeidung und autofreie Stadtviertel sinnvoller sind als Elektroautos.