Autofreie Stadt: Gesellschafthttp://www.autofreie-stadt.de/tag/gesellschaft/Neue Artikel aus der Rubrik Gesellschaftde-deThu, 17 Jan 2013 10:22:54 -0000Demokratisierter Luxus http://www.autofreie-stadt.de/2009/10/demokratisierter-luxus/ <p>Der in 1923 in Wien geborene und später nach Frankreich ausgewanderte Sozialphilosoph <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Andr%C3%A9_Gorz">André Gorz</a> war in den 70er Jahren einer der Vordenker der <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Politische_%C3%96kologie">politischen Ökologie</a>. Zu dieser Zeit, als das Ausbreitung des Autos die Städte bereits unübersehbar verändert hatte, schrieb er für die französische Monatszeitschrift <em>Le Sauvage</em> einen Artikel mit der Überschrift "<a href="http://rts.gn.apc.org/socid.htm">The Social Ideology of the Motorcar</a>" (die soziale Ideologie des Autos), der die Folgen dieser massenhaften Verbreitung sehr anschaulich beschreibt. Ein paar Auszüge:</p><blockquote><p>Das schlimmste an Autos ist, dass sie wie Burgen oder Strandvillen sind: Luxusgüter, die für den ausschließlichen Genuss durch eine sehr reiche Minderheit geschaffen wurden und die sowohl von der Idee als auch aus ihrer Natur heraus nie für alle gedacht waren.</p><p>Der Staubsauger, das Radio oder das Fahrrad behalten ihren Wert, auch wenn jeder eins besitzt. Anders das Auto: wie die Strandvilla ist es nur begehrenswert und nützlich, wenn die Massen keins besitzen. Deswegen ist das Auto von der Idee und dem anfänglichem Zweck immer ein Luxusgut gewesen. Und die Hauptsinn des Luxus ist, dass er nicht demokratisiert werden kann. Wenn jeder diesen Luxus besitzt, hat keiner etwas davon. </p></blockquote><p>Heutzutage ist es unübersehbar, dass die Demokratisierung des Autos niemandem geholfen hat. Für Autobesitzer ist das Auto kein Luxus mehr, sondern eine teuer erkaufte Notwendigkeit. Sicher, manche möchten mit einem besonders teuren Fahrzeug die Nachbarn neidisch machen, aber nur die wenigsten würde freiwillig soviel Geld investieren um im Stau zu stehen. Inzwischen ist es mehr Luxus, ein Auto nicht nötig zu haben.</p><blockquote><p>Das ist das Paradox des Automobils: es scheint seinen Besitzern grenzenlose Freiheit zu verschaffen, zu reisen wann und wohin sie wollen, mit einer Geschwindigkeit gleich oder größer als die eines Zugs. Tatsächlich aber bringt diese oberflächliche Unabhängigkeit eine radikale Abhängigkeit mit sich. Im Unterschied zum Reiter, Pferdewagen- oder Fahrradfahrer ist der Autofahrer von Treibstoffversorgern abhängig und braucht selbst für kleinste Reparaturen die Hilfe von Händlern, Spezialisten für Motoren, Öl und Zündung, und dauerhafte Verfügbarkeit von Ersatzteilen.</p></blockquote><p>Absurd, wie die persönliche Wahrnehmung und die Realität soweit auseinander liegen. Die freie Fahrt für freie Bürger ist in Wirklichkeit eine extreme Unfreiheit. Nur wenige wissen, wie man an einem Auto mehr macht als den Reifendruck zu messen. Mit der Computerisierung in der Kfz-Technik werden immer weitere Teile zu einer Black Box. Man nutzt es, solange es funktioniert, wenn es nicht mehr funktioniert ist man komplett der Gnade anderer ausgeliefert.</p><p>Ganz anders das Fahrrad: jeder kann zuhause eigentlich alles reparieren, was einem Fahrrad bei normaler Benutzung zustossen kann. Wer mehr lernen will, geht in eine Selbsthilfewerkstatt und lässt es sich zeigen. </p><blockquote><p>Ein typischer Amerikaner widmet sich 1.500 Stunden im Jahr seinem Auto, also 30 Stunden die Woche oder 4 Stunden am Tag, sogar am Wochenende. Das ist sowohl Zeit hinter dem Steuer, in Bewegung oder im Stau, als auch die Arbeitszeit, deren Lohn für das Auto selbst, für Benzin, Reifen, Maut, Versicherung, Strafzettel und Steuern ausgegeben wird. Ein Amerikaner braucht daher 1.500 Stunden für 9.600 Kilometer im Jahr. Durchschnittsgeschwindigkeit: 6,4 km/h.</p></blockquote><p>Das ist das Höchste der Paradoxe: ein unglaublicher Zeit- und Ressourcenaufwand, der am Ende zur Durchschnittsgeschwindigkeit eines Fußgängers führt! Und das war 1973, heute legen Amerikaner weitaus größere Strecken zurück und verbringen noch mehr Zeit im Stau. Wer diese Rechnung einmal für Deutschland durchführen will, möge einen Kommentar schreiben, das Ergebnis wäre sicher ähnlich schockierend.</p> http://www.autofreie-stadt.de/2009/10/demokratisierter-luxus/Wiener wohnen autofrei - neue Studie http://www.autofreie-stadt.de/2009/07/wiener-wohnen-autofrei-neue-studie/ <p>Das autofreie Stadtviertel Floridsdorf in Wien besteht schon seit zehn Jahren. Bei Einzug verpflichten sich dort die Mieter, ohne Auto zu leben. Die Stadtverwaltung gab nun eine Studie in Auftrag, um die Lebenssituation im Bezirk zu untersuchen.</p><p>Die Ergebnisse sind durchaus interessant: so wird das Fahrrad im Vergleich zum Wiener Durchschnitt etwa zehnmal so häufig genutzt! Im Durchschnitt kommen auf jeden Bewohner 1,5 Fahrräder - gerechnet wurde mit 2,5 Fahrrädern pro <em>Haushalt</em>, so dass zusätzliche Fahrradboxen und Unterstellmöglichkeiten nötig wurden.</p><p>Besonders auffallend: etwa ein Viertel aller Bewohner gab das Auto auf, um in die Siedlung ziehen zu können. Der Wille für ein anderes Verkehrsverhalten ist also durchaus vorhanden, sobald das entsprechende Umfeld geschaffen ist.</p><p>Im Freiburger Vauban-Viertel (über das vor kurzem sogar in der <a href="http://www.nytimes.com/2009/05/12/science/earth/12suburb.html">New York Times</a> berichtet wurde) ist dieser Anteil laut einer anderen Studie sogar noch höher: 57% der Bewohner verkauften dort ihr Auto, um einziehen zu können. Dabei war der Autoverzicht dort freiwillig, die Bewohner konnten Parkplätze im benachbarten Parkhaus zu Marktpreisen (ca. 10.000 €) erwerben. Diejenigen, die dies "zur Sicherheit" taten, merkten zu ihrer eigenen Überraschung, dass sie die Flächen so gut wie gar nicht nutzten.</p><p>Überraschend ist auch, dass laut der Wiener Studie in den europäischen Ballungszentren und urbanen Gebieten etwa 40% der Haushalte ohne Auto leben. Es wird Zeit, dass sich diese Gruppe endlich der Politik gegenüber bemerkbar macht. Das Auto ist in den Städten sehr viel präsenter, als sich rational rechtfertigen lässt.</p><p>Hier geht es zur <a href="http://wohnbauforschung.at/Downloads/Autofreies_Wohnen_LF.pdf">vollständigen Wiener Studie</a> und einer <a href="http://wohnbauforschung.at/Downloads/Abstract_Autofreies_Wohnen_DE.pdf">Zusammenfassung der Ergebnisse</a>.</p> http://www.autofreie-stadt.de/2009/07/wiener-wohnen-autofrei-neue-studie/Wer Straßen sät wird Verkehr ernten http://www.autofreie-stadt.de/2009/03/wer-strassen-saet-wird-verkehr-ernten/ <p>In der Verkehrsplanung wird die Regel "<em>Angebot schafft Nachfrage</em>" normalerweise völlig unterschätzt. Für viele Planer scheint die Nachfrage nach Verkehrswegen, also die Anzahl von Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern, eine unabhängige Größe zu sein. Diese Nachfrage müsse nur mit einem entsprechenden Angebot an Straßen und Fahrradwegen befriedigt werden. </p><p>Ständige Staus auf der Straße könnten nach dieser Theorie durch den Bau neuer, größerer Straßen gelöst werden. Wenn die neuen Straßen dann wieder gestaut sind, scheint sich die Nachfrage wieder erhöht zu haben und neue Straßen sind notwendig. Unterstützt wird diese Theorie von der herrschenden Meinung in den Wirtschaftswissenschaften, die davon ausgeht, dass Menschen feste Vorlieben haben und diese - soweit finanzierbar - umsetzen.</p><p>In der Realität ist das Gegenteil der Fall: wenn eine gestaute Straße verkleinert wird, wie <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Sanfte_Mobilit%C3%A4t#Angebot_schafft_Nachfrage">1993 die Münchner Donnersbergerbrücke wegen Bauarbeiten</a>,fließt der Verkehr sogar flüssiger, denn die meisten Autofahrer steigen einfach auf alternative Verkehrsmittel um. Wenn dagegen eine Straße vergrößert wird, vervielfacht sich der durchfließende Verkehr, bis die Straße wieder verstopft ist.</p><p>Gestützt wird das zum Beispiel von Untersuchungen des deutschen Psychologen <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Gerd_Gigerenzer#Bauchentscheidungen">Gerd Gigerenzer</a>. Er geht davon aus, dass viele Entscheidungen, die wir als Menschen treffen, von unterbewussten Entscheidungsprozessen gefällt werden. Dazu benutzen wir Heuristiken, also Daumenregeln, die wir ohne es zu merken ständig entwickeln und mit der Realität abgleichen.</p><p>Eine sehr wichtige dieser Daumenregeln ist "<em>Weiche nicht von der Vorgabe ab</em>". Solange es keinen zwingenden Grund gibt oder man nicht bewusst über die gesellschaftliche Vorgabe reflektiert, wird man einfach das machen, was alle machen. Ein Beispiel von Gigerenzer ist die Organspende: nur 4,3% der Deutschen würden ihre Organe im Todesfall spenden, dagegen 99,9% der Österreicher.</p><p>Die Erklärung: in Österreich ist die Zustimmung zur Organentnahme gesetzliche Vorgabe, in Deutschland das Gegenteil. Jeder kann sich zwar kostenfrei und ohne großen Aufwand umentscheiden, die weitaus größte Mehrheit tut das aber nicht.</p><p>Nach der wirtschaftlichen Theorie müßte jeder eine feste Meinung zu dem Thema haben und wenn die Vorgabe nicht der eigenen Meinung entspricht, entscheidet man sich eben bewußt. Das passiert aber nicht, weil die Vorgabe auch Einfluß auf die eigene Meinung hat: wenn es Gesetz ist, wird das schon so seine Richtigkeit haben.</p><p>Das bedeutet, je mehr Fahrradwege es gibt, desto mehr Menschen fahren Fahrrad. Je mehr Straßen es gibt und je zugeparkter die Bürgersteige, desto mehr Menschen fahren Auto. Schließlich machen das ja alle...</p> http://www.autofreie-stadt.de/2009/03/wer-strassen-saet-wird-verkehr-ernten/Semiotik¹ des Hupens http://www.autofreie-stadt.de/2008/12/semiotik-des-hupens/ <p>Dem Betätigen einer Hupe können sehr unterschiedliche Bedeutungen innewohnen. Für den Hupenden selbst kommuniziert das akustische Signal weitreichende, einfach verständliche Inhalte von "Achtung, ich überhole" über "Ich hätte Sie eben fast überfahren, es war aber nicht meine Schuld" bis "Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie soeben <a href="http://bundesrecht.juris.de/stvo/__37.html">§37.2.6 StVo</a> missachtet haben".</p><p>Für alle anderen Verkehrsteilnehmer reduziert sich der Bedeutungsgehalt auf: "Hallo, ich hupe." </p><p>Es ist mir rätselhaft, warum sich Autofahrer nach langwierigem, mehr oder weniger tiefgehendem Aneignen des menschlichen Kommunikationsprozesses damit begnügen, wieder in sitzender Haltung eindimensionale Signale abzusondern. Das wilde Gestikulieren soll zwar oft den fehlenden Tiefgang des Hupsignals ausgleichen, schafft aber mehr Fehlkommunikation als es dem Verständnis hilfreich ist.</p><p>Fahrradfahrer lassen sich inzwischen davon inspirieren. Als Radfahrer noch die einzigen beräderten Nutzer des öffentlichen Raums waren, war eine Klingel überflüssiger Luxus. Heutzutage ist sie leider häufig notwendig, um den metallenen Mantel der motorbetriebenen Mitbürger zu durchdringen, wenn diese Anstalten machen, den Fahrradfahrer in den toten Winkel zu manövrieren. </p><p>Gegenüber Fußgängern ist die Klingel bei niedriger Geschwindigkeit eigentlich unnötig, fahrradwegbesetzende Touristen lassen sich auch durch ein sanftes "Entschuldigung" vom Weg abbringen. Viele Fahrradfahrer nutzen jedoch lieber die Gelegenheit zum Nachahmen der <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Identifikation_mit_dem_Aggressor">Agressoren</a>, anstatt die mühsam erlernten Formen des menschlichen Miteinanders anzuwenden. </p><p>Eine Stadt ohne Autos ist eine Stadt ohne agressives Hupen. Nicht schade darum.</p><p><small>¹Semiotik: die allgemeine Lehre von Zeichen, Zeichensystemen und Zeichenprozessen.</small></p> http://www.autofreie-stadt.de/2008/12/semiotik-des-hupens/Deutschland Autoland http://www.autofreie-stadt.de/2008/11/deutschland-autoland/ <p>Wie <a href="../../../../../../2008/11/eine-auspraegung-tiefverwurzelter-beduerfnisse/">schon bemerkt</a>, ist die Umsetzung einer autofreien Stadt nicht nur - oder sogar am wenigsten - eine Frage von Argumenten oder Rationalität. Autofahren ist tief in der westlichen Psyche verankert und wer das ändern will, muss sich um die Ursachen dieser engen Verbindung Gedanken machen.</p><p>In der <a href="http://www.zeit.de/"><em>Zeit</em></a> vom 20. November heißt es zum Beispiel über den Neuwagenkauf:</p><blockquote> <p>Die Kunden besuchen die tempelartigen Automuseen der Konzerne, schlafen in Wolfsburg gar im werkseigenen Ritz Carlton, essen bemerkenswert gut, bevor sie zur Übergabezeremonie schreiten. Auf einer Empore schauen sie zu, wie ihr neues Gefährt in eine riesige, blitzsaubere Halle gefahren wird.</p> <p>Dann gehen sie mit dem Betreuer hinunter, schauen sich gemeinsam ihr neues, metallic-glitzerndes Fortbewegungsmittel an - und fahren es selbst hinaus in eine Welt ohne allgemeines Tempolimit. Ins Autoland Deutschland.</p></blockquote><p>Es wirkt wie eine spirituelle Erfahrung und wer manche Leute mit ihren Autos sieht, könnte tatsächlich denken, dass sie in diesm Objekt ihre Lebenserfüllung finden. Was gibt es einem Menschen also, ein Auto zu besitzen?</p><p>Zum einen ist es sicher der Neid der Nachbarn, eine nicht zu unterschätzende Motivation im Land der Kleingärtner. Wer unter erheblicher Geld- und Zeitinvestition sein Fortbewegungsmittel tieferlegt, die Scheiben abdunkelt und Leichtmetallfelgen daran montiert, will sicher auch beeindrucken. </p><p>Diese Wirkung nach außen kann sich aber nur entfalten, weil bereits ein gesellschaftliches Umfeld existiert, in dem die Autoliebe anerkannt und unterstützt wird. Und das entstand nach dem zweiten Weltkrieg aus einer Situation des Mangels, aus dem alle entfliehen wollten. Das beste Symbol dafür war das eigene Auto vor der Tür.</p><p>Jetzt, wo das Auto vor der Tür eher ein Zeichen der Ignoranz und der Rückständigkeit ist, haben sich die gesellschaftlichen Werte noch nicht angepasst. Noch immer gelten Autofahrer als die Nettozahler der Nation, auch wenn sie gesellschaftlich mehr Kosten verursachen als sie aufbringen. Und erst langsam fängt das Umdenken an - mit etwas Glück bald auch mit der Einsicht, dass Verkehrsvermeidung und autofreie Stadtviertel sinnvoller sind als Elektroautos.</p> http://www.autofreie-stadt.de/2008/11/deutschland-autoland/