Autofreie Stadt

Auf in die Zukunft

 

Demokratisierter Luxus

Der in 1923 in Wien geborene und später nach Frankreich ausgewanderte Sozialphilosoph André Gorz war in den 70er Jahren einer der Vordenker der politischen Ökologie. Zu dieser Zeit, als das Ausbreitung des Autos die Städte bereits unübersehbar verändert hatte, schrieb er für die französische Monatszeitschrift Le Sauvage einen Artikel mit der Überschrift "The Social Ideology of the Motorcar" (die soziale Ideologie des Autos), der die Folgen dieser massenhaften Verbreitung sehr anschaulich beschreibt. Ein paar Auszüge:

Das schlimmste an Autos ist, dass sie wie Burgen oder Strandvillen sind: Luxusgüter, die für den ausschließlichen Genuss durch eine sehr reiche Minderheit geschaffen wurden und die sowohl von der Idee als auch aus ihrer Natur heraus nie für alle gedacht waren.

Der Staubsauger, das Radio oder das Fahrrad behalten ihren Wert, auch wenn jeder eins besitzt. Anders das Auto: wie die Strandvilla ist es nur begehrenswert und nützlich, wenn die Massen keins besitzen. Deswegen ist das Auto von der Idee und dem anfänglichem Zweck immer ein Luxusgut gewesen. Und die Hauptsinn des Luxus ist, dass er nicht demokratisiert werden kann. Wenn jeder diesen Luxus besitzt, hat keiner etwas davon.


 

Wiener wohnen autofrei - neue Studie

Das autofreie Stadtviertel Floridsdorf in Wien besteht schon seit zehn Jahren. Bei Einzug verpflichten sich dort die Mieter, ohne Auto zu leben. Die Stadtverwaltung gab nun eine Studie in Auftrag, um die Lebenssituation im Bezirk zu untersuchen.

Die Ergebnisse sind durchaus interessant: so wird das Fahrrad im Vergleich zum Wiener Durchschnitt etwa zehnmal so häufig genutzt! Im Durchschnitt kommen auf jeden Bewohner 1,5 Fahrräder - gerechnet wurde mit 2,5 Fahrrädern pro Haushalt, so dass zusätzliche Fahrradboxen und Unterstellmöglichkeiten nötig wurden.

Besonders auffallend: etwa ein Viertel aller Bewohner gab das Auto auf, um in die Siedlung ziehen zu können. Der Wille für ein anderes Verkehrsverhalten ist also durchaus vorhanden, sobald das entsprechende Umfeld geschaffen ist.

Im Freiburger Vauban-Viertel (über das vor kurzem sogar in der New York Times berichtet wurde) ist dieser Anteil laut einer anderen Studie sogar noch höher: 57% der Bewohner verkauften dort ihr Auto, um einziehen zu können. Dabei war der Autoverzicht dort freiwillig, die Bewohner konnten Parkplätze im benachbarten Parkhaus zu Marktpreisen (ca. 10.000 €) erwerben. Diejenigen, die dies "zur Sicherheit" taten, merkten zu ihrer eigenen Überraschung, dass sie die Flächen so gut wie gar nicht nutzten.

Überraschend ist auch, dass laut der Wiener Studie in den europäischen Ballungszentren und urbanen Gebieten etwa 40% der Haushalte ohne Auto leben. Es wird Zeit, dass sich diese Gruppe endlich der Politik gegenüber bemerkbar macht. Das Auto ist in den Städten sehr viel präsenter, als sich rational rechtfertigen lässt.

Hier geht es zur vollständigen Wiener Studie und einer Zusammenfassung der Ergebnisse.

 

Wer Straßen sät wird Verkehr ernten

In der Verkehrsplanung wird die Regel "Angebot schafft Nachfrage" normalerweise völlig unterschätzt. Für viele Planer scheint die Nachfrage nach Verkehrswegen, also die Anzahl von Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern, eine unabhängige Größe zu sein. Diese Nachfrage müsse nur mit einem entsprechenden Angebot an Straßen und Fahrradwegen befriedigt werden.

Ständige Staus auf der Straße könnten nach dieser Theorie durch den Bau neuer, größerer Straßen gelöst werden. Wenn die neuen Straßen dann wieder gestaut sind, scheint sich die Nachfrage wieder erhöht zu haben und neue Straßen sind notwendig. Unterstützt wird diese Theorie von der herrschenden Meinung in den Wirtschaftswissenschaften, die davon ausgeht, dass Menschen feste Vorlieben haben und diese - soweit finanzierbar - umsetzen.

In der Realität ist das Gegenteil der Fall: wenn eine gestaute Straße verkleinert wird, wie 1993 die Münchner Donnersbergerbrücke wegen Bauarbeiten,fließt der Verkehr sogar flüssiger, denn die meisten Autofahrer steigen einfach auf alternative Verkehrsmittel um. Wenn dagegen eine Straße vergrößert wird, vervielfacht sich der durchfließende Verkehr, bis die Straße wieder verstopft ist.

 

Semiotik¹ des Hupens

Dem Betätigen einer Hupe können sehr unterschiedliche Bedeutungen innewohnen. Für den Hupenden selbst kommuniziert das akustische Signal weitreichende, einfach verständliche Inhalte von "Achtung, ich überhole" über "Ich hätte Sie eben fast überfahren, es war aber nicht meine Schuld" bis "Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie soeben §37.2.6 StVo missachtet haben".

Für alle anderen Verkehrsteilnehmer reduziert sich der Bedeutungsgehalt auf: "Hallo, ich hupe."


 

Deutschland Autoland

Wie schon bemerkt, ist die Umsetzung einer autofreien Stadt nicht nur - oder sogar am wenigsten - eine Frage von Argumenten oder Rationalität. Autofahren ist tief in der deutschen Psyche verankert und wer das ändern will, muss sich um die Ursachen dieser engen Verbindung Gedanken machen.

In der Zeit vom 20. November heißt es z.B.

Die Kunden besuchen die tempelartigen Automuseen der Konzerne, schlafen in Wolfsburg gar im werkseigenen Ritz Carlton, essen bemerkenswert gut, bevor sie zur Übergabezeremonie schreiten. Auf einer Empore schauen sie zu, wie ihr neues Gefährt in eine riesige, blitzsaubere Halle gefahren wird.

Dann gehen sie mit dem Betreuer hinunter, schauen sich gemeinsam ihr neues, metallic-glitzerndes Fortbewegungsmittel an - und fahren es selbst hinaus in eine Welt ohne allgemeines Tempolimit. Ins Autoland Deutschland.