Autofreie Stadt

Auf in die Zukunft

 

Demokratisierter Luxus

Der in 1923 in Wien geborene und später nach Frankreich ausgewanderte Sozialphilosoph André Gorz war in den 70er Jahren einer der Vordenker der politischen Ökologie. Zu dieser Zeit, als das Ausbreitung des Autos die Städte bereits unübersehbar verändert hatte, schrieb er für die französische Monatszeitschrift Le Sauvage einen Artikel mit der Überschrift "The Social Ideology of the Motorcar" (die soziale Ideologie des Autos), der die Folgen dieser massenhaften Verbreitung sehr anschaulich beschreibt. Ein paar Auszüge:

Das schlimmste an Autos ist, dass sie wie Burgen oder Strandvillen sind: Luxusgüter, die für den ausschließlichen Genuss durch eine sehr reiche Minderheit geschaffen wurden und die sowohl von der Idee als auch aus ihrer Natur heraus nie für alle gedacht waren.

Der Staubsauger, das Radio oder das Fahrrad behalten ihren Wert, auch wenn jeder eins besitzt. Anders das Auto: wie die Strandvilla ist es nur begehrenswert und nützlich, wenn die Massen keins besitzen. Deswegen ist das Auto von der Idee und dem anfänglichem Zweck immer ein Luxusgut gewesen. Und die Hauptsinn des Luxus ist, dass er nicht demokratisiert werden kann. Wenn jeder diesen Luxus besitzt, hat keiner etwas davon.


 

Podiumsdiskussion: Autofreie Großstadt Berlin

Am 14. Juli findet in der TU Berlin eine sehr interessante Podiumsdiskussion statt:

Wann: Dienstag, 14. Juli 2009 um 18.15 Uhr
Wo: TU Berlin, Straße des 17. Juni 115, Raum C 130 (Chemiegebäude)

Referenten:
Dr. Oscar Reutter, Wuppertal Institut
Dr. Friedemann Kunst, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
Dipl.Ing. Markus Heller, autofrei leben! e.V.

Moderation:
Prof. Dr. Andreas Knie, Wissenschaftszentrum Berlin

Der zunächst angefragte Referent Prof. Dr. Eckard Minx von Daimler Chrysler konnte leider nicht zusagen. Die Diskussion hätte das sicher kontroverser gestaltet.

(vom Blog "umweltfreundlich-mobil")

 

Der "Shared Space" des Stärkeren

Viele Lokalpolitiker sind ganz begeistert vom Konzept des "Shared Space", das einige niederländische Kleinstädte und die Gemeinde Bohmte in Niedersachsen bereits eingeführt haben. Dabei werden alle Verkehrsschilder beseitigt, Bordsteinkanten entfernt und ein einziger großer Verkehrsraum geschaffen, geschwisterlich geteilt von allen Verkehrsteilnehmern.

Die Idee klingt toll und bei gegenseitiger Rücksichtnahme, vor allem durch die stärksten Verkehrsteilnehmer, könnte es tatsächlich funktionieren. Autofahrer dürften gar nicht schneller als Schrittgeschwindigkeit fahren, denn es könnte ja jederzeit ein Fußgänger quer laufen. So lief es schließlich auch zu Beginn des Autozeitalters: Autofahrer mussten sich an den übrigen Verkehr anpassen, nicht umgekehrt.

Auch gelegentlich kritische Geister - wie die taz - können an der Idee kein Problem erkennen. Als würden sich Menschen, die momentan mit 50 km/h durch eine Spielstraße fahren, auf einmal auf ihre Mitmenschen zu Fuß besinnen und den Fuß vom Gas nehmen. Arndt Schwab, Vorsitzender des FUSS e.V., macht in einem Leserbrief sogar darauf aufmerksam, dass rein rechtlich ein "Shared Space" lediglich eine Straße ohne Gehweg ist. Das bedeutet, die Geschwindigkeit beträgt 50 km/h und Fußgänger dürfen den motorgetrieben Verkehr nicht behindern. Nachts müssen sie am Fahrbahnrand sogar hintereinander gehen!

Dazu kommt noch, dass - im Gegensatz zu den Niederlanden - in Deutschland keine Unschuldsvermutung des unmotorisierten Verkehrs gilt. Ein Autofahrer, der gerade einen Fußgänger überfahren hat, könnte von diesem noch die Erstattung seines Blechschadens verlangen.

Fakt ist, dass Autofahrer durch den Akt des Autofahrens hundertmal so schnell wie ein Mensch sein können, tausendmal so stark sind - aber kein Stück intelligenter werden. Die Natur konnte uns einfach nicht beibringen, mit diesen Kräften umzugehen. Ein Führerschein reicht nicht aus, um die Verantwortung, die man als Autofahrer trägt, zu begreifen. Das Resultat sind die Städte, die wir heute haben: laut, gefährlich und eng.

Bis sich Autofahrer wieder Rücksicht angewöhnt haben, besteht der einzige Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer darin, autofreie Zonen in der Stadt zu schaffen. Dort geben Fußgänger die Geschwindigkeit vor und es ist Platz für alle Menschen - nicht nur für diejenigen, die sich ein Auto leisten wollen. Dann würde es sich auch wieder lohnen, die Städte zu verschönern anstatt sie einfach stromlinienförmig zu gestalten. Wer zu Fuß geht, hat deutlich weniger Toleranz für eine häßliche Umgebung als ein Autofahrer mit dem Blick auf der Straße.

 

Vision Zero

In der skandinavischen Politik gilt die "Vision Zero" schon seit 1997, in Deutschland wird sie von den meisten Entscheidern noch - bewusst oder unbewusst - missverstanden. Vision Zero bedeutet: keine Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr mehr.

Es klingt nach einem unrealistischen Ziel. Keine Unfälle mehr? Unmöglich.

Das ist schon das Mißverständnis, denn es geht nicht darum, Unfälle völlig zu vermeiden. Natürlich geht das nicht, denn jeder Mensch macht Fehler. Letztlich bedeutet es einen Perspektivenwechsel: anstatt den Menschen als Störfaktor im Straßenverkehr zu sehen, geht es darum, das System Verkehr so zu verändern, dass Menschen nicht mehr zu Schaden kommen können. Und das, selbst wenn sie Fehler machen, ob am Steuer oder als Fußgänger.

 

Sanfte Mobilität

Der Wikipedia-Artikel über "Sanfte Mobilität" ist eine Fundgrube an Argumenten gegen und Statistiken über den motorisierten Individualverkehr. Die dort angegebenen Gründe für die rasante Ausbreitung des motorisierten Straßenverkehrs sind einleuchtend und teilweise überraschend.

Interessant ist das "Gesetz der Zeitkonstanz": eine schnellere Fortbewegung führt nicht zu einer Zeitersparnis. Stattdessen verlängern sich einfach die zurückgelegten Wege. Statt zu Fuß beim Laden um die Ecke einzukaufen fährt man zum nächsten Einkaufszentrum. Statt im selben Ort zu wohnen, wo man arbeitet, zieht man in den Speckgürtel und pendelt.

Das Argument von "wer Straßen sät, wird Verkehr ernten" ist zwar schon ein geflügeltes Wort, wird in dem Artikel aber auch mit Zahlen unterfüttert. Wenn eine Straßensperrung wegen Bauarbeiten droht, geht der Verkehr auf dem betroffenen Abschnitt schon vorher zurück, weil einfach auf andere Verkehrsmittel ausgewichen wird.

Wenn Straßen zur Verfügung stehen, werden sie auch genutzt. Wenn sie zurückgebaut werden, werden sie nicht vermisst.

 

Semiotik¹ des Hupens

Dem Betätigen einer Hupe können sehr unterschiedliche Bedeutungen innewohnen. Für den Hupenden selbst kommuniziert das akustische Signal weitreichende, einfach verständliche Inhalte von "Achtung, ich überhole" über "Ich hätte Sie eben fast überfahren, es war aber nicht meine Schuld" bis "Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie soeben §37.2.6 StVo missachtet haben".

Für alle anderen Verkehrsteilnehmer reduziert sich der Bedeutungsgehalt auf: "Hallo, ich hupe."


 

Hoppla, querschnittsgelähmt

Ein prinzipielles Problem in der autogerechten Stadt ist die Ungleichheit zwischen den motorisierten und allen anderen Verkehrsteilnehmern. Jeder Mensch ist mal unaufmerksam, abgelenkt oder mit dem Kopf woanders. Das ist völlig verständlich und nachvollziehbar. Beim Autofahrer kann aber jede winzige geistige Abwesenheit für andere Verkehrsteilnehmer den Tod, schwere Verletzungen oder auch lebenslange Behinderung bedeuten.

Viele Autofahrer fühlen sich mißverstanden, wenn sie aus Versehen beim Rechtsabbiegen einen Fußgänger übersehen und dementsprechend beschimpft werden. "War doch keine Absicht".

Für den betroffenen Fußgänger ist das ein schwacher Trost. Aus Versehen querschnittsgelähmt worden zu sein fühlt sich nur geringfügig anders an als das gleiche Ergebniseiner gezielten Tat.

 

Selber schuld

In England ist es für Autofahrer üblich, bei Rot zu Gelb die noch kreuzenden Fußgänger zu überrollen... um so wichtiger ist es klar zu stellen, dass die Fußgänger daran selbst schuld sind. Dank dieser Kampagne der Stadt Brighton ist klar, dass wer von Autofahrern verletzt oder getötet wird, einfach zu blöd war. Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke und Opfer sind Täter!