Autofreie Stadt

Auf in die Zukunft

 

Europäische Kommission: Straßen wieder für Menschen nutzbar machen

Die Verschwendung des öffentlichen Raums: 75 Menschen fahren entweder in _60_ Autos oder in _einem_ BusAus der Bundesregierung wird in nächster Zeit wenig erfreuliches zu hören sein und auch von der EU-Kommission ist man kaum an positive Nachrichten gewöhnt. Über manche Erzeugnisse aus der Brüsseler EU-Zentrale freut man sich aber doch. Eins davon ist das Handbuch mit dem Titel "Reclaiming city streets for people" (PDF, eng.) aus dem Jahre 2004. Herausgegeben wurde es von der damals für Umweltfragen zuständigen Margot Wallström, einer schwedischen Sozialdemokratin, die inzwischen zur Vizepräsidenten in der EU-Kommission aufgestiegen ist.

In dem Handbuch werden unterschiedliche Konzepte zur Einführung von Fußgängerzonen und zum Zurückdrängen des Autoverkehrs aus den Stadtzentren anhand von Fallbeispielen sehr anschaulich vorgestellt. Besonderes Augenmerk wird auf das Phänomen der "Verkehrsverpuffung" gelegt. Das ist die Kehrseite von "Wer Straßen sät wird Verkehr ernten": wenn Straßen für Fußgänger und Fahrradfahrer umgestaltet werden, verschwinden tatsächlich Autos.

Dieser Verkehr ist dann nicht auf Seiten- und Nebenstraßen zu finden, sondern komplett "verpufft". Eine Studie im Auftrag des englischen Verkehrsministeriums stellte fest, dass Autofahrer auf ein geringeres Platzangebot eben nicht wie in Computermodellen angenommen reagieren und im Stau stehenbleiben, sondern auf andere Verkehrsmittel umsteigen, weniger Wege mit dem Auto zurücklegen und langfristig sogar näher an ihren Arbeitsplatz ziehen.


 

Demokratisierter Luxus

Der in 1923 in Wien geborene und später nach Frankreich ausgewanderte Sozialphilosoph André Gorz war in den 70er Jahren einer der Vordenker der politischen Ökologie. Zu dieser Zeit, als das Ausbreitung des Autos die Städte bereits unübersehbar verändert hatte, schrieb er für die französische Monatszeitschrift Le Sauvage einen Artikel mit der Überschrift "The Social Ideology of the Motorcar" (die soziale Ideologie des Autos), der die Folgen dieser massenhaften Verbreitung sehr anschaulich beschreibt. Ein paar Auszüge:

Das schlimmste an Autos ist, dass sie wie Burgen oder Strandvillen sind: Luxusgüter, die für den ausschließlichen Genuss durch eine sehr reiche Minderheit geschaffen wurden und die sowohl von der Idee als auch aus ihrer Natur heraus nie für alle gedacht waren.

Der Staubsauger, das Radio oder das Fahrrad behalten ihren Wert, auch wenn jeder eins besitzt. Anders das Auto: wie die Strandvilla ist es nur begehrenswert und nützlich, wenn die Massen keins besitzen. Deswegen ist das Auto von der Idee und dem anfänglichem Zweck immer ein Luxusgut gewesen. Und die Hauptsinn des Luxus ist, dass er nicht demokratisiert werden kann. Wenn jeder diesen Luxus besitzt, hat keiner etwas davon.


 

Wiener wohnen autofrei - neue Studie

Das autofreie Stadtviertel Floridsdorf in Wien besteht schon seit zehn Jahren. Bei Einzug verpflichten sich dort die Mieter, ohne Auto zu leben. Die Stadtverwaltung gab nun eine Studie in Auftrag, um die Lebenssituation im Bezirk zu untersuchen.

Die Ergebnisse sind durchaus interessant: so wird das Fahrrad im Vergleich zum Wiener Durchschnitt etwa zehnmal so häufig genutzt! Im Durchschnitt kommen auf jeden Bewohner 1,5 Fahrräder - gerechnet wurde mit 2,5 Fahrrädern pro Haushalt, so dass zusätzliche Fahrradboxen und Unterstellmöglichkeiten nötig wurden.

Besonders auffallend: etwa ein Viertel aller Bewohner gab das Auto auf, um in die Siedlung ziehen zu können. Der Wille für ein anderes Verkehrsverhalten ist also durchaus vorhanden, sobald das entsprechende Umfeld geschaffen ist.

Im Freiburger Vauban-Viertel (über das vor kurzem sogar in der New York Times berichtet wurde) ist dieser Anteil laut einer anderen Studie sogar noch höher: 57% der Bewohner verkauften dort ihr Auto, um einziehen zu können. Dabei war der Autoverzicht dort freiwillig, die Bewohner konnten Parkplätze im benachbarten Parkhaus zu Marktpreisen (ca. 10.000 €) erwerben. Diejenigen, die dies "zur Sicherheit" taten, merkten zu ihrer eigenen Überraschung, dass sie die Flächen so gut wie gar nicht nutzten.

Überraschend ist auch, dass laut der Wiener Studie in den europäischen Ballungszentren und urbanen Gebieten etwa 40% der Haushalte ohne Auto leben. Es wird Zeit, dass sich diese Gruppe endlich der Politik gegenüber bemerkbar macht. Das Auto ist in den Städten sehr viel präsenter, als sich rational rechtfertigen lässt.

Hier geht es zur vollständigen Wiener Studie und einer Zusammenfassung der Ergebnisse.

 

Podiumsdiskussion: Autofreie Großstadt Berlin

Am 14. Juli findet in der TU Berlin eine sehr interessante Podiumsdiskussion statt:

Wann: Dienstag, 14. Juli 2009 um 18.15 Uhr
Wo: TU Berlin, Straße des 17. Juni 115, Raum C 130 (Chemiegebäude)

Referenten:
Dr. Oscar Reutter, Wuppertal Institut
Dr. Friedemann Kunst, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
Dipl.Ing. Markus Heller, autofrei leben! e.V.

Moderation:
Prof. Dr. Andreas Knie, Wissenschaftszentrum Berlin

Der zunächst angefragte Referent Prof. Dr. Eckard Minx von Daimler Chrysler konnte leider nicht zusagen. Die Diskussion hätte das sicher kontroverser gestaltet.

(vom Blog "umweltfreundlich-mobil")

 

Der "Shared Space" des Stärkeren

Viele Lokalpolitiker sind ganz begeistert vom Konzept des "Shared Space", das einige niederländische Kleinstädte und die Gemeinde Bohmte in Niedersachsen bereits eingeführt haben. Dabei werden alle Verkehrsschilder beseitigt, Bordsteinkanten entfernt und ein einziger großer Verkehrsraum geschaffen, geschwisterlich geteilt von allen Verkehrsteilnehmern.

Die Idee klingt toll und bei gegenseitiger Rücksichtnahme, vor allem durch die stärksten Verkehrsteilnehmer, könnte es tatsächlich funktionieren. Autofahrer dürften gar nicht schneller als Schrittgeschwindigkeit fahren, denn es könnte ja jederzeit ein Fußgänger quer laufen. So lief es schließlich auch zu Beginn des Autozeitalters: Autofahrer mussten sich an den übrigen Verkehr anpassen, nicht umgekehrt.

Auch gelegentlich kritische Geister - wie die taz - können an der Idee kein Problem erkennen. Als würden sich Menschen, die momentan mit 50 km/h durch eine Spielstraße fahren, auf einmal auf ihre Mitmenschen zu Fuß besinnen und den Fuß vom Gas nehmen. Arndt Schwab, Vorsitzender des FUSS e.V., macht in einem Leserbrief sogar darauf aufmerksam, dass rein rechtlich ein "Shared Space" lediglich eine Straße ohne Gehweg ist. Das bedeutet, die Geschwindigkeit beträgt 50 km/h und Fußgänger dürfen den motorgetrieben Verkehr nicht behindern. Nachts müssen sie am Fahrbahnrand sogar hintereinander gehen!

Dazu kommt noch, dass - im Gegensatz zu den Niederlanden - in Deutschland keine Unschuldsvermutung des unmotorisierten Verkehrs gilt. Ein Autofahrer, der gerade einen Fußgänger überfahren hat, könnte von diesem noch die Erstattung seines Blechschadens verlangen.

Fakt ist, dass Autofahrer durch den Akt des Autofahrens hundertmal so schnell wie ein Mensch sein können, tausendmal so stark sind - aber kein Stück intelligenter werden. Die Natur konnte uns einfach nicht beibringen, mit diesen Kräften umzugehen. Ein Führerschein reicht nicht aus, um die Verantwortung, die man als Autofahrer trägt, zu begreifen. Das Resultat sind die Städte, die wir heute haben: laut, gefährlich und eng.

Bis sich Autofahrer wieder Rücksicht angewöhnt haben, besteht der einzige Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer darin, autofreie Zonen in der Stadt zu schaffen. Dort geben Fußgänger die Geschwindigkeit vor und es ist Platz für alle Menschen - nicht nur für diejenigen, die sich ein Auto leisten wollen. Dann würde es sich auch wieder lohnen, die Städte zu verschönern anstatt sie einfach stromlinienförmig zu gestalten. Wer zu Fuß geht, hat deutlich weniger Toleranz für eine häßliche Umgebung als ein Autofahrer mit dem Blick auf der Straße.

 

Warum Wirtschaftskrise?

Momentan wird viel von der Wirtschaftskrise geredet, die die Welt erfasst haben soll. In den USA ist sie bereits Realität, hierzulande ist sie nur für wenige wirklich zu spüren. Nur zwei Branchen haben ihre Geschäftsmodelle komplett umstellen müssen: Autoindustrie und Banken konzentrieren sich inzwischen eher auf das Einsammeln von Steuergeldern als auf ihr Kerngeschäft.

Die öffentliche Meinung macht vor allem die Banken für die Krise verantwortlich, was sicher nicht komplett falsch ist. Der Wirtschaftswissenschaftler James Hamilton hat jedoch vor kurzem ein Papier vorgestellt, das ein anderes Bild zeichnet: Laut seiner Modellrechnung lässt sich der Rückgang der Wirtschaftsleistung in 2008 fast komplett durch den hohen Ölpreis in dieser Zeit erklären. Die Immobilienblase hätte nur einen geringen Rückgang verursacht, der außerdem bereits 2006 anfing. 2008 waren die Auswirkungen der Immobilienkredite eher rückläufig, der Einbruch der Wirtschaftsleistung war dann aber am dramatischsten.

 

Kurzstrecken killen Klima

Das Bundesumweltministerium hat mal wieder - zusammen mit dem tatsächlich empfehlenswerten Verkehrsclub VCD - eine neue Kampagne gestartet: "Kopf an, Motor aus. Für null CO2 auf Kurzstrecken". Damit soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass 50% (!) aller Autofahrten unter 6 km weit sind. Strecken, die mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuß niemanden außer Puste bringen.

Die Angelsachsen sagen "talk is cheap", eine Kampagne ist schnell gemacht und niemand muss wirklich sein Verhalten ändern. Dabei wäre ein solcher Umstieg mit dem entsprechenden Willen durchaus machbar: so könnte man Wohngebiete nach und nach zu Sackgassen umbauen, das kostet nicht viel und macht Kurzstrecken für Autofahrer unattraktiv. Wer mit dem Auto lange Umwege fahren muss, geht eher zu Fuß oder nimmt das Rad.

Noch fehlt dazu leider der politische Wille, aber die öffentliche Meinung ändert sich. Zu absurd werden immer neue Programme, mit denen die Menschen in die Autos gebracht werden sollen. So ist sich Berlin nicht zu blöd, eine Autobahn mitten durch eine Stadt zu bauen, in der der Autoverkehr seit Jahren sinkt und nur 50% der Haushalte überhaupt eins besitzen.

Aber das Jahrhundert des Autos ist vorbei. Es wird wie immer einige Jahre dauern, bis diese Veränderung auch in der "großen" Politik ankommt, aber schon bald werden weitere Autoförderprogramme den Politikern Stimmen kosten - und dann wird auch dort ein Umdenken anfangen. Bis dahin können wir uns noch an ein paar gut gemeinten, windelweichen Kampagnen erfreuen.

 

Mobilität ohne Motor

Es muss nicht immer motorgetrieben sein: kreative Lösungen für menschengetriebene Mobilität kommen - trotz einer komplett autozentrierten Kultur - immer wieder aus den USA. So zum Beispiel die pfiffige Idee des Xtracycle-Teams, aus einem normalen Fahrrad ein Transportfahrrad zu machen.

Human CarEin anderes Konzept verfolgt der Human Car: ein leichtes Viersitzer-Cabrio, zwei Personen vorne, zwei hinten mit Blick nach hinten. Angetrieben wird es durch eine Ruderbewegung der Passagiere, das Steuern übernehmen die vorderen Insassen mit ihren Sitzflächen. Klingt ungewohnt und unpraktisch, Testfahrer sind aber voll des Lobes. Mit voller Besetzung und tatkräftiger Mitarbeit soll das Gefährt ohne große Mühe auf 50 km/h Geschwindigkeit kommen.

Reservieren lässt sich ein Exemplar schon jetzt für günstige $99, kosten soll es am Ende unter $1.000. Für ein paar Tausend Dollar mehr ist ein Elektromotor für längere Strecken und Steigungen vorgesehen. Noch existiert nur ein Prototyp, laut der Erfinder liegen aber schon 150 Reservierungen vor und der Produktionsstart steht unmittelbar bevor.

Ein Youtube-Video vom Human Car nach dem Link:

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